Nationalsozialistische Verbrechen an Zwangsarbeitern -
"Der Fall Kasimir Troc"

 

Im Porzer Stadtarchiv befinden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass Zwangsarbeiter besonders in der Zeit von 1943 - 1945 von der Gestapo verhaftet worden waren, weil sie entweder versucht hatten zu fliehen oder Sabotage in ihren Betrieben begangen haben sollten. Sabotagevorwürfe wurden in dieser Zeit schnell ins Feld geführt, wenn die Firmen, die kriegswichtige Güter produzierten, Produktionsausfälle hatten und in Erklärungsnöte geraten waren.

  Stadtarchiv
Porz  (HSTAKP) 
12.7
   
Liste der auf dem Bahnhof Gremberghoven beschäftigten Ostarbeiter. Von den auf dieser Seite genannten 29 Männern sind zwei bei Luftangriffen gestorben, und sieben durch die Gestapo verhaftet und wahrscheinlich später hingerichtet worden.      

Den Polizeibeamten, die die Zivilarbeiter aus Porz zur Gestapo nach Köln überführen mussten, wurden die Reisekosten erstattet.

   
        12.8 Auslagenerstattung für die Überführung von fünf Zivilarbeitern
                             Stadtarchiv Porz (HSTAKP)
 

Über Hinrichtungen von Zwangsarbeitern aus Porz gab es im Stadtarchiv Porz zunächst keinerlei Unterlagen. Zwar hatte die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) bereits 1947 einen Hinweis aus Eil erhalten, dass "Ende 1944 ein bei der Firma Dittert [Rheinisches Metallwerk GmbH, Porz, Ensener Weg 1] in Porz beschäftigter polnischer Fremdarbeiter öffentlich erhängt wurde, wobei die Porzer Polizei die Absperrung vornahm. Ein Lastwagen, auf dem der Pole stand, ... fuhr unter einen Baum, die Schlinge wurde um den Hals gelegt, und der Wagen fuhr weg. Dies geschah, so heißt es in der Zuschrift aus Eil weiter, im Beisein der Fremdarbeiter des Betriebes". Dies sei auf Veranlassung des Betriebsleiters K. und des Werkmeisters J. geschehen, die Ursache für die Hinrichtung sei nicht bekannt.

Der Gemeindedirektor Melchior Kurth, der in der NS-Zeit leitender Bürobeamter der Gemeinde Porz gewesen war,  beantwortete am 28.10.1947 die Anfrage des VVN:
"Auf Ihr Schreiben vom 23.10.1947 teile ich mit, dass der in Ihrem Schreiben
geschilderte Vorgang hier bekannt ist. Nähere Einzelheiten können aber nicht mitgeteilt werden, weil die Erhängung des polnischen Zivilarbeiters m. W. auf Veranlassung der Gestapo in Köln erfolgte. Vielleicht besteht die Möglichkeit, dass die Polizeidienststelle in Porz darüber nähere Angaben machen kann.  Ich empfehle daher eine Anfrage an die Kreisabteilung der Polizei in Bergisch Gladbach bzw. an die Polizeistation Porz".
1)

Die Untersuchungen verliefen im Sande, weil die Unterlagen der Rheinischen
Metallwerke Ende Dezember 1944 bei einem Luftangriff verloren gegangen waren; bei den befragten Polizeidienststellen waren keine Unterlagen aufzufinden.

Die in Berlin lebende Photokünstlerin Sabine Würich hat sich in ihrem Internetprojekt "Das Gedächtnis der Orte - Projekt über die Tatorte nationalsozialistischer Verbrechen in Köln" auch mit der Hinrichtung des polnischen Zivilarbeiters Kasimir Troc beschäftigt und stellt die Vorgänge so dar: 

"Die Hinrichtung des polnischen Zwangsarbeiters Kasimir Troc in Porz erfolgte im August 1943. Wegen angeblicher Sabotage wurde er vor ein »Sondergericht« gestellt.
Das »Urteil« wurde halböffentlich vollstreckt und so waren der Bürgermeister, der Leiter der NSDAP-Ortsgruppe und ein Angehöriger der Firmenleitung zugegen. Außerdem musste eine größere Gruppe von Zwangsarbeitern anwesend sein. Die Hinrichtung fand am Ensener Weg vermutlich in Höhe der Hausnummern 1 bis 3, in der Nähe des vermeintlichen Tatorts, der Arbeitsstätte, statt.
Kasimir Troc wurde in einem geschlossenen Gefangenentransportwagen zum Hinrichtungsort gebracht und musste dann auf den Rücksitz eines offenen Wagens steigen. Einer der Gestapomänner legte ihm einen Strick, der an einem Birnbaum befestigt war, um den Hals. Ein anderer setzte sich ans Steuer und fuhr an. Anschließend mussten die Zwangsarbeiter an dem Erhängten vorbeimarschieren."
2)
 

  In der Internetpräsenz von S. Würich wird dieser Teil des Ensener Weges (Haus Nr. 5a) mit dem Tatort in Verbindung gebracht.
                                      



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Eine Luftaufnahme vom 19.3.1945
beweist jedoch, dass auch damals
am Bahndamm kein Baumbestand
existierte
(Rechtsrheinisches Köln,
Bd. 17, 1991, S. 174).

Foto (rechts):
© J. Hindrichs 28.7.2009
   

Unsere Ortsbesichtigung ergab Folgendes:

  Ensener
Weg 1-3
   
  Foto:
© J. Hindrichs
28.7.2009
  Hier dürfte der Tatort gewesen sein. Die Mauern stammen
noch aus der Vorkriegszeit, dort, wo heute der Zaun steht, war
eine Einfahrt zum Firmengelände, die auch in der Luftaufnahme
gut erkennbar ist. Hinter dem Zaun waren die Baracken für
die Zwangsarbeiter (Ensener Weg 1).
Die deckt sich auch mit der Aussage unseres Zeitzeugen Josef
Nolte, der uns mitgeteilt hatte, dass Troc dort, ganz in der Nähe
der Steinstr., umgekommen sei.
 

Hier die geografischen Koordinaten:
Länge: 50°53'33.94"N
Breite:    7° 3'25.83"E

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auf das Logo:
 




Der letzte Leiter des Porzer Stadtarchivs, G. Aders, hat in den Jahren 1979 - 1999 den Fall Kasimir Troc eingehend untersucht. Auf die Schwierigkeiten, den Fall zu recherchieren, wollen wir hier nicht weiter eingehen. Sie können in der Untersuchung von G. Aders nachgelesen werden.3)

Zu den Sabotagevorwürfen, die gegen Kasimir Troc erhoben worden waren, ermittelte G. Aders folgende Sachverhalte:

Troc war schon 1941 als Kriegsgefangener dem Betrieb zugewiesen worden.

Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft wurde er [K. Troc] als "Zivilarbeiter" übernommen und wohnte von März an mit anderen Polen als Untermieter in dem der Firma Dittert gehörenden Haus Hauptstraße 196, in dem übrigens auch der Betriebsleiter wohnte. Laut der bis 1941 geführten Ausländerkartei hatte die Firma damals 12 polnische Zivilarbeiter, davon waren 10 ehemalige Kriegsgefangene.
[Der Werkmeister] J. erinnerte sich, dass er den gelernten Dreher Troc, weil er Plattfüße hatte, zu einer sitzenden Tätigkeit an einer Bohrmaschine eingeteilt hatte, wo er - wie mehrere andere Arbeiter - mit einer Standbohrmaschine Löcher in Flugzeugarmaturenteile zu bohren hatte. Er habe damals bald bemerkt, dass bei Troc auffallend viele Bohrer brachen, bis zu 20 Stück am Tag, während andere Arbeiter höchstens dreimal am Tag einen Bohrerbruch meldeten; außerdem seien nur an seiner Maschine größere Schäden aufgetreten.
J. habe angenommen, dass Troc zu ungeschickt für diese Tätigkeit gewesen sei, und habe ihn in die Dreherei versetzt; den Umgang mit Drehbänken hatte der junge Mann ja gelernt. Nach kurzer Zeit ging an einer neuen schweren Drehbank die Planscheibe zu Bruch. Jetzt sei ihm zum ersten Male der Gedanke gekommen, dass Troc diese Schäden absichtlich herbeiführte. Der Verdacht verdichtete sich, als die Herstellerfirma der Drehbank feststellte, dass es sich bei dem Bruch auf keinen Fall um einen Materialfehler handele, sondern um einen absichtlich herbeigeführten Schaden. Sie empfahl der Firma Dittert, "sich den betreffenden Arbeiter genauer anzusehen".
Um ihm keine Gelegenheiten zu weiteren Sabotageakten zu geben, versetzte J. ihn in die Verbundgießerei. Hier hatte Troc die Temperatur der Öfen zu kontrollieren und J. mitzuteilen, wann die von ihm eingestellten Werte erreicht waren. Einige Zeit später kam es zum ersten Mal vor, dass Troc das Überschreiten der Temperatur nicht gemeldet hatte, doch konnte J. noch größeren Schaden abwenden. Beim zweiten Mal stellte J. fest, dass die Gashähne voll geöffnet worden waren. Die Temperatur war so hoch gestiegen, dass alle Gussteile unbrauchbar geworden waren.
Die Aussagen von J. erwecken den Eindruck, als wären die von Troc verursachten Schäden innerhalb eines recht kurzen Zeitraums entstanden. Es wurde von der Kriminalpolizei nicht hinterfragt, ob dies wirklich so gewesen ist oder ob sie sich während der mehr als zwei Jahre dauernden Arbeitszeit ereignet hatten.
Aus der Einwohnermeldekarte geht hervor, dass Troc von Beruf Dreher war, jedenfalls war das seine Angabe. Er war also nicht nur angelernter Arbeiter oder in seinen Möglichkeiten überfordert. Das legt die Vermutung nahe, dass er die erwähnten Schäden absichtlich verursacht hatte, sein Verhalten also Sabotage war.
4)

Da infolge dieser Schäden die Rheinischen Metallwerke nicht in der Lage waren, bestellte Teile an ihre Kunden zu liefern, erstattete der Betriebsleiter K. Anzeige bei der Polizei in Porz, die den "Fall Troc" an die Gestapo weitermeldete. Dieses Verfahren entsprach einem Erlass vom 30.6.1943, der vorsah, dass alle Fälle krimineller Verfehlungen von polnischen und russischen Arbeitskräften an die Gestapo abzugeben seien. Bei dem offenkundigen Sachverhalt bedeutete dies, dass Troc vor ein "Sondergericht" gestellt wurde und damit sein Schicksal besiegelt war. Ein Sondergericht war keine Einrichtung der staatlichen Rechtsprechung, sondern der SS.
Natürlich musste so ein Sondergerichtsverfahren bestimmten Formalien genügen, entweder mussten einwandfreie Beweise für eine Schuld des Angeklagten vorliegen oder - besser noch - ein Geständnis.5) Dieses wurde häufig auf brutale Weise herbeigeführt.
Die Exekution hatte auf Befehl Himmlers bei schweren Sabotagefälle am Tatort selbst in Gegenwart der Belegschaft zu erfolgen.

Damit orientierte sich die Hinrichtung von Kasimir Troc an der  Verfahrensweise, die die SS im gesamten Reichsgebiet angewendet hatte:
Das Urteil [hatte] halböffentlich vollstreckt zu werden. Anwesend mussten sein: Der Bürgermeister oder sein Vertreter und der Leiter der NSDAP-Ortsgruppe bzw. sein Vertreter. Falls der Arbeiter eines Industriebetriebes
exekutiert werden sollte, musste ein Angehöriger der Firmenleitung anwesend sein, war er Landwirtschaftsarbeiter, hatte der Ortsbauernführer Zeuge zu sein, schließlich musste eine größere Gruppe von Zwangsarbeitern der Hinrichtung ihres Kameraden zusehen. Die Hinrichtungen fanden in der Nähe des Tatortes, aber an abgelegenen Stellen statt, die von der Polizei abzuriegeln waren.
5)

Während sich Melchior Kurth, der leitende Porzer Bürobeamte, und die Polizisten sich nicht genau erinnern konnten oder aussagten, nichts Genaueres gesehen zu haben, konnte sich Ignaz Morschel, der von 1941 bis 1945 Bürgermeister von Porz war, war als einziger bei seiner Befragung durch das Bundeskriminalamt gut an diesen Tag erinnern:

Kurth habe mit ihm übereingestimmt, "dass wir uns den Anordnungen der Gestapo zu fügen hätten, da das Urteil rechtens sei".
Er [Morschel] habe dann dem Polizeileutnant Vohwinkel die Weisung erteilt, den von der Gestapo ausgesuchten Hinrichtungsort absperren zu lassen. Auf die Aufforderung der Gestapomänner hin habe er sich dann zu dem Hinrichtungsort begeben. Troc wurde in einem geschlossenen Gefangenentransportwagen zur Steinstraße gebracht, musste dann auf den Rücksitz eines offenen Wagens steigen, einer der Gestapomänner legte ihm den an einem Straßenbaum befestigten Strick um den Hals, der andere setzte sich ans Steuer und fuhr an. Dann seien die ausländischen Arbeiter an dem Toten vorbeimarschiert, der dann abgenommen und in der "Grünen Minna" abtransportiert worden sei.
6)

   
  Eintrag im Sterberegister der Gemeinde Porz
        Quelle: Stadtarchiv Porz (HSTAKP)
 


Die beiden Gestapomänner, die den Tod Kasimir Trocs durch Erhängen herbeigeführt haben, konnten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, weil sie vor Beginn des Ermittlungsverfahrens gestorben sind.



Quellennachweis:

1) Aders, G., Der Fall Kasimir Troc", in: Rechtsrheinisches Köln, Jahrbuch
   für Geschichte und Landeskunde, Bd. 25, Köln 1999, S. 105/106.
   Namen von Personen werden abgekürzt wiedergegeben, wenn a) sie
   keine örtlichen Personen der Zeitgeschichte sind, und b), wenn es keinen
   Informationsanspruch oder ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit
   an diesen Personen gibt.

2) Würich, S., Das Gedächtnis der Orte - Projekt über die Tatorte
    nationalsozialistischer Verbrechen in Köln, Projekt Nr. 16: Hinrichtung,
    damals ein Birnbaum nahe den Gleisanlagen heute ohne Baumbestand,
    Ensener Weg, Porz, 17. August 2002
    http://www.sabine-wuerich.de/projekte.html  

3) Aders, G., Der Fall Kasimir Troc", in: Rechtsrheinisches Köln, Jahrbuch
   für Geschichte und Landeskunde, Bd. 25, Köln 1999, S. 105-114.

4) Aders, G., Der Fall Kasimir Troc", in: Rechtsrheinisches Köln, Jahrbuch
   für Geschichte und Landeskunde, Bd. 25, Köln 1999, S. 109-110.
   Hervorhebungen durch uns.

5) Aders, G., Der Fall Kasimir Troc", in: Rechtsrheinisches Köln, Jahrbuch
   für Geschichte und Landeskunde, Bd. 25, Köln 1999, S. 112.

6) Aders, G., Der Fall Kasimir Troc", in: Rechtsrheinisches Köln, Jahrbuch
   für Geschichte und Landeskunde, Bd. 25, Köln 1999, S. 113.
  


Arbeitsaufträge

(1) Warum wurden bei Produktionsausfällen in Betrieben während des
     2. Weltkrieges sehr schnell Sabotagevorwürfe erhoben?

(2) Der Betriebsleiter der Rheinischen Metallwerke dürfte sich über die
     Folgen seiner Anzeige der Vorfälle im Betrieb im Klaren gewesen
     sein. Was wird ihn bewogen haben, Anzeige zu erstatten?   

(3) Erkläre die Funktion eines "Sondergerichtes". Warum wurde
     russischen und polnischen Staatsangehörigen eine rechtliche
     "Sonderbehandlung" zu teil?

(4) Erkläre die "Gedächtnislücken" der Beteiligten und sonstigen Zeitzeugen!

(5) Worin bestehen weitere Schwierigkeiten, Verbrechen gegen die
     Menschlichkeit rechtsstaatlich zu verfolgen?