Fallstudie - Zwangsarbeit bei Aero-Stahl


Die Aero-Stahl-Fluggerätebau GmbH hatte ihren Firmensitz auf der Kaiserstraße 23 in Köln-Urbach. Das Gelände gehörte davor zum Gut „Sternenberger Hof“, das Herrenhaus, die Sternenberger Villa, an der Kaiserstraße wurde von der Aero-Stahl und den Nachfolgebetrieben als Verwaltungsgebäude genutzt.

Hier die geografischen Koordinaten:
Länge: 50°52'49.49"N
Breite:    7° 4'37.72"E

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Im Zweiten Weltkrieg produzierte sie Flugzeugmotorenteile für die Rüstungsindustrie. Die Fabrikation erfolgte unter Einsatz Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, die aus Polen, Italien, Belgien, der Tschechoslowakei, Holland und Russland kamen. Diese waren isoliert von der Bevölkerung in Baracken an der heutigen Kriegerstraße in Grengel (Nordlager) sowie an der Wahner Straße in Zündorf (Neue Siedlung) untergebracht. (Bilder: Zwangsarbeiterbaracken in Grengel und Zündorf).

    
 

          Zwangsarbeiterlager von Aerostahl am Mauspfad im Grengel
                           Zum Vergrößern auf das Bild klicken 1)

 


● Eine Luftaufnahme der Zwangsarbeiterbaracken von Aerostahl in
   Niederzündorf finden Sie hier:
    Foto (22.3.1945, Aufnahmehöhe: ca. 7400 m, Bildmaßstab
         1 : 8700)1)

Die frühere Zwangsarbeiterin Krystina Woitaczweska und der frühere Zwangsarbeiter Josef Rychter, die als Zeitzeugen von der Stadt Köln eingeladen worden waren, berichtete über das Barackenlager im Grengel, in dem die ZwangsarbeiterInnen schliefen. Von ihm sind heute nur noch die Fundamente zu sehen. Unklar ist, wieviele Baracken damals waren. Die Angaben der Gäste schwanken zwischen acht und zwölf. "In jeder Baracke gab es mehrere Einheiten, in denen in der Regel vier Personen schliefen. Als sanitäre Einrichtung stand lediglich eine Schüssel mit Wasser zur Verfügung. Einig sind sich alle, dass das Lager zwar
bewacht wurde, aber nicht umzäunt war. »Wo hätten wir auch hingehen sollen?«, fragen sie einhellig. Direkt neben dem Lager befand sich der Militärflughafen Wahn." 2)

Krystina Woitaczweska war 16 Jahre alt und Josef Rychter 14 Jahre alt, als sie Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Die "Vermittlung" erfolgte durch die Arbeitsämter.

Eine andere Zwangsarbeiterin, Maria Dembrowska, berichtet, das bei die deutschen Aufseher bei Aero-Stahl gleichfalls eine strenge
Hierarchisierung vorgenommen hätten – unter rassistischen Gesichtspunkten. "So hätten beispielsweise die ArbeiterInnen aus Westeuropa das Mittagessen zuerst bekommen, erklärt Maria Dembowska. Erst danach hätten dann nach Herkunft abgestuft die ArbeiterInnen aus Osteuropa den Teller Suppe mit Gemüseeinlage in Empfang nehmen können. Fleisch habe es nie gegeben, fügt sie hinzu. Jeden Abend erhielten die ArbeiterInnen jeweils eine Scheibe Brot mit Marmelade für das Abendessen und das Frühstück: Für eine Zwölf-Stunden-Schicht, die von Montag bis Samstag entweder von 7 Uhr bis 19 Uhr oder von 19 Uhr bis 7 Uhr dauerte. Zudem musste sonntags jede der beiden Schichten abwechselnd ebenfalls zwölf Stunden arbeiten. Somit hatten die ArbeiterInnen alle zwei Wochen nur einen freien Tag. »Wir waren immer so hungrig, dass wir unser Frühstück bereits am Abend aßen«, sagt Maria Dembowska. »Wir hätten es ja während der Nacht verlieren können, zum Beispiel bei einem Bombenangriff.« (Quelle: Philtrat)2)

Wegen der gezielten Luftangriffe der Alliierten auf Anlagen der Rüstungsindustrie in Deutschland wurde im Herbst 1943 die Produktion teilweise nach Andrychów im heutigen Polen verlagert.

     
             Werksausweis              von Josef Rychter3)    

Im Sommer 1944 musste dieser Standort jedoch wegen des Vormarschs russischer Streitkräfte wieder aufgegeben werden. Die polnischen Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen wurden deportiert und die Produktion auf das Kölner Firmengelände zurückverlegt.3)

Nach der Bombardierung der Rüstungsbetriebe in Peenemünde auf Usedom im August 1943 beschloss die NS-Regierung die Verlagerung von kriegswichtigen Produktionsstätten unter Tage.

 

          

 
       Stollenmundloch 38 - Schlammpeitzger (Siebengebirge)
                © Foto von Bergmann und Eismann, 20074)
 

Die alte Stollenanlage Ofenkaulen oberhalb von Königswinter wurde mit Hilfe von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen weitläufig ausbetoniert und zu hoch technisierten Produktionsstätten ausgebaut. Unter dem Decknamen „Schlammpeitzger“ wurde im Herbst 1944 die Aero-Stahl-Fluggerätebau GmbH komplett in einen dieser Stollen verlagert.

Hier die geografischen Koordinaten:
Länge: 50°40'35.46"N
Breite:   7°13'11.72"E

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  So bizarr stellte
sich das Stollen-
system Ofenkaulen
dem Erkundungs-
team "Untertage-
Übertage" 2007
dar.
    
© Fotos von Bergmann und Eismann, 20074)    
  So ähnlich wie in
der Untertage-
verlagerung Heller
dürfte es auch
in den Aerostahl-
stollen Ofenkaulen
ausgesehen haben.    
© Fotos von Bergmann und Eismann, 20074)    

● Eine ausführliche Darstellung der Aerostahl-Untertageverlagerung
   "Schlammpeitzger" (Ofenkaulen/Siebengebirge) finden Sie hier:
    http://www.untertage-übertage.de/Untertage-Verlagerungen.html


Ca. 400 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen stellten dort Flugzeugmotorenteile her, unter anderem die Deckel-Einspritzpumpen für den BMW-Motor 801, das Antriebsaggregat des Jagdflugzeuges Focke-Wulf 190. Sie waren in einem einfachen, niedrigen Barackenlager außerhalb des Stollens untergebracht. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen waren menschenunwürdig. Es wurde in 12 Stunden-Wechselschichten ohne Schutzmaßnahmen gearbeitet. Sie waren lediglich mit Lumpen bekleidet, erhielten kaum etwas zu essen, waren vollkommen entkräftet und lebten in ständiger Angst vor Strafe.

Gegen Ende des Krieges kam die Produktion wegen Stromausfällen immer häufiger ins Stocken und schließlich im März 1945 zum Erliegen, sodass das Werk aufgegeben wurde.

Die vorrückenden Amerikaner beschlagnahmten sämtliche Unterlagen und vernichteten sie. Von daher konnten nach Kriegsende keine Arbeiterlisten für Entschädigungen und Wiedergutmachungen erstellt werden. Alle Produktionsanlagen auf dem Werksgelände von Aero-Stahl wurden unmittelbar nach Kriegsende auf Befehl der Siegermächte demontiert.

  

      

 
           Foto aus: 100 Jahre Löschgruppe Urbach 1901-2001, S. 21  

1947 wurde im Westen des Geländes die Feuerwache Porz (Bild) untergebracht; auf den übrigen Teilen ließ sich 1950 die Firma Steatit-Magnesia (Stemag) nieder.5) Unter dem Namen der Teltower Fabrik „Dralowid“ wurden Filmapparate hergestellt. Nach der Schließung des Werks unterhielt die Bundeswehr dort bis 2006 einen Verwaltungsstandort. Seit 2007 wird das Gelände für den Wohnungsbau genutzt.

 

    

   
 

             

 
 

Mit dem Verkauf des Areals durch die Bundeswehr an ein
Immobilienkonsortium werden 2007 die letzten Gebäude
von Aerostahl 62 Jahre nach Kriegsende abgerissen. 6)
 Foto: © J. Hindrichs 2009

 



Quellennachweis:

1) Vermessungs- und Katasteramt der Stadt Köln, Historische Luftauf-
    nahmen, Streifen 11, in: Rechtsrheinisches Köln, Bd. 17, 1991,
    S. 150/151, S. 166.

2) Elster, V., Schreckliche Vergangenheit, in: philtrat 53 -
   Juni/Juli 2003, StudentInnenmagazin aus Köln,
   http://www.philtrat.de/volumes/53/schreckliche_vergangenheit
   Download [pdf]

3) Die Geschichte der Aerostahl-Werke in Polen finden Sie hier:
     Text zum Download [pdf]

4) Eine ausführliche Darstellung der Aerostahl-Untertageverlagerung
   "Schlammpeitzger" (Ofenkaulen/Siebengebirge) finden Sie hier:
    http://www.untertage-übertage.de/Untertage-Verlagerungen.html

5) Festschrift 100 Jahre Löschgruppe Urbach 1901 - 2001, hrsg. von
   der Freiwilligen Feuerwehr Urbach (2001).
     Kapitel: Die Feuerwache auf dem ehemaligen Aerostahl-Gelände
           [pdf]

6) Zur Veräußerung und Umwidmung des Aerostahl-Geländes
     Ausschreibung zum Verkauf durch die Bundeswehr (2006) [jpg]
     Verkauf als Wohngebiet durch eine Immobilienfirma (2007) [jpg]


Im NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus war bis zum 9. November 2003 die Ausstellung "Bilder einer fremden Stadt. Zwangsarbeit in
Köln 1939-1945" zu sehen. Öffnungszeiten und weitere Informationen sind im Netz unter http://www.museenkoeln.de/ns-dok/default.asp?s=283&tid=190&kontrast=&schrift= zu finden. Der offene Brief der Projektgruppe Messelager für die Weiterführung des Besuchsprogramms lag im SprecherInnenrat der Philosophischen Fakultät in der Universitätsstraße 16 (1. Etage) aus.
Aus Philtrat Nr. 53, Juni/Juli 2003. Kategorien: Lebenswelt



Arbeitsaufträge

(1) Markiere den Standort des Aero-Stahlwerkes in Urbach auf einem
     Stadtplan von heute und vergleiche seine Lage mit der Lage der
     übrigen Firmen in Porz, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben (vgl.
     4.1.2)

      Lage der Firmen in Porz [pdf]

     Warum wurde der Stadtteil Urbach als Standort ausgesucht, obwohl
     er keine günstige Verkehrsanbindung (Bahn, Rhein) hatte? Wer war der
     Vorbesitzer des Geländes?


(2) Betrachte die Produkte, von Aero-Stahl, die auf der polnisch-sprachigen
     Webseite von Andrzej Fryś, Pompy produkowane w Andrychowie były
     stosowane do śmiercionośnych myśliwców Luftwaffe, abgebildet sind
     und begründe, warum die Aero-Stahl-Produkte kriegswichtig waren!

       Text zum Download [pdf]

(3) Arbeite die ausführliche Darstellung der Aerostahl-Untertageverlagerung
     "Schlammpeitzger" (Ofenkaulen/Siebengebirge) durch:
 
       http://www.untertage-übertage.de/Untertage-Verlagerungen.html

     Beschreibe, welcher Aufwand notwendig war, um die Produktion von
     Aero-Stahl untertage zu verlegen und wie sich die Produktions- und
     Arbeitsbedingungen durch die Standortverlagerung ins Siebengebirge
     verändert hat!

(4) Wie ist es zu erklären, dass das Aero-Stahl - Werk nach 1945
     völlig und sehr schnell demontiert wird und dass es heute kaum
     Unterlagen über die Produktion und die Beschäftigten mehr
     gibt?

       Schreckliche Vergangenheit [pdf]

(5) Das Aero-Stahl - Gelände ist erst 62 Jahre nach Beendigung des
     II. Weltkrieges wieder für zivile Zwecke (Wohnungsbau) nutzbar
     gemacht worden, obwohl es inmitten eines Wohngebietes liegt.
     Untersuche, wer das Gebiet zwischen 1945 und 2007 besessen
     hat, und wie es genutzt worden ist.