Um der neunten Klasse des
Maximilian-Kolbe-Gymnasiums einen besseren Einblick in seine
Jugend zur Nazizeit zu geben, schilderte Herr
Nolte seine Lebensgeschichte von 1923 bis 1937.
Herr Nolte: „Als
erstes müsst ihr wissen, dass ich zwei Regierungen
miterlebt habe: Bis 1933 die Weimarer Republik und
die darauf folgende Nazizeit. Geboren wurde ich am
15. Februar 1923 und erlebte meine Schulzeit von
Ostern 1929 bis 1937.“
Schüler: „Sicher
kannten Sie eine jüdische Familie, oder?“
Herr Nolte: „Ja, ich
kannte die jüdische Familie Silbermann, die in Porz
die erfolgreiche
Firma für Isoliermaterial der Elektroindustrie
Meirowsky besaß. Heute ist die Firma Meirowsky als
Dielektra bekannt. Den Angestellten wurden eigene
Wohnungen in der Meirowskystraße, heutige Ohmstraße,
gestellt.“ (Hierzu fertigte Herr Nolte eine Skizze
an.)
Schüler: „Kannten Sie
die Familie Silbermann auch persönlich?“
Herr Nolte: „Die
kinderliebe Frau Silbermann, die für ärmere Kinder
Spielzeug aus Köln mitbrachte, lud mich des Öfteren
zum Spielen in der größten Wohnung, die ich bisher
gesehen hatte, mit den drei Kindern ein. Der größte
Spaß war das Heimkino und die elektrische Eisenbahn,
die sich normale Familien nicht leisten konnten. Bei
schönem Wetter durften wir in dem großen Garten
hinter dem Haus spielen. Um diesen zu pflegen,
ließen sie zwei Arbeiter aus der Firma Meirowsky
kommen. Auch ein Dienstmädchen war bei der Firma
Meirowsky angestellt. Dazu muss ich sagen, dass Juden
nie als Dienstmädchen eingestellt wurden.“
Schüler: „Wieso waren
die Dienstmädchen keine Juden?“
Herr Nolte: Da Juden
jeden Samstag den Sabbat feiern, an dem sie nicht
arbeiten dürfen, wurden sie nicht als Dienstmädchen
eingestellt.“
Schüler: „Kannten Sie
auch weitere jüdische Familien oder Unternehmen?“
Herr Nolte: „Der
Metzgermeister Albert Tobias war einer der
bekanntesten Juden in Porz. Der sehr integrierte
Herr Tobias war Mitglied des Schützenvereins. Beim
Schießstand der Firma Meirowsky zeigte er sein Können
und wurde zum Kommandanten gewählt.

Zur Kirmeszeit
ermöglichte der bei Kindern beliebte Herr Tobias
Familien mit wenig Geld, montags die
Kirmesattraktionen wie z.B. Motorradfahren,
Dosenwerfen und Karusselfahren umsonst zu nutzen.
Als wir für Heidekinder als Sternsinger Geld
sammelten, spendierte er uns und den 20 anderen
Messdienern Mettwürste. Da er im ersten Weltkrieg
mitgekämpft hatte und sich sogar einen Orden
verdient hatte, glaubte er, von den Nazis verschont
zu werden. Dennoch verschwand er, so wie die anderen
Juden, plötzlich aus Porz und Zündorf.“
Schüler: „Waren Sie
auch bei einer jüdischen Feier dabei?“
Herr Nolte: „Familie
Silbermann lud mich zu einem Bar-Mizwa - Essen ein. Mich
empfing die wohl angezogene Familie und führte mich
in das Esszimmer, das von dem Chanukkaleuchter
erhellt wurde. Herr Silbermann las aus der Thora vor
und verneigte sich aus Ehrfurcht jedes Mal, wenn das
Wort Jahwe, der jüdische Name für Gott, fiel.“
Schüler: „Gingen Sie
mit Juden zur Schule?“
Herr Nolte: „Ich ging
auf eine katholisch- evangelische Schule
und auch Kinder anderer Religionen konnten
diese besuchen. Ich vermute, dass die jüdischen
Kinder aus Zündorf und Porz zusammengefasst wurden
und auf eine besondere Schule gingen.“
Schüler: „Wie hat
sich das Schulbild verändert?“
Herr Nolte: „Bis 1933
war der Konrektor, Josef Broch, an der katholischen
Schule Porz, an der ich Schüler war, streng
katholisch und spielte im Gottesdienst Orgel und
Harmonium. Als die Nazis zum Vorschein kamen, konnte
man erkennen, wie Herr Broch sich zum Judenhasser
entwickelte. Er tauchte mit brauner Parteiuniform auf
und anstatt des Lesebuches lasen wir nun die
Zeitschrift „Der Stürmer“, herausgegeben von der SS.
Nach und nach wechselten auch andere Lehrer in die
braune Partei. Neu hinzugefügt wurde das Schulfach
Rassenkunde. Jeder musste nachweisen, dass in der Ahnenschaft kein Jude vorhanden war. War man jedoch
jüdischer Abstammung, wurde man diskriminiert und
galt als nicht mehr reinrassig. Es war von Vorteil,
wenn Mädchen blonde Haare hatten. Ab der 6. Klasse
wurden Jungen und Mädchen getrennt. Die Mädchen
wurden bei Frau Meffert unterrichtet und die Jungen
von Herrn Broch. An eines kann ich mich besonders
gut erinnern: Wir mussten antisemitische Gedichte
auswendig lernen. In etwa so:
Krumme Juden zogen
hin,
Krumme Juden zogen her,
Juden zogen durchs tote Meer,
Die Wellen schlagen auf und zu,
Und dann hast du deine Ruh. |
Die Jungen wurden
durch Wassersport, Reitvereine, Wandern und
Zeltlager zur Hitlerjugend gelockt, das so genannte
Jungvolk. Ich jedoch war nie beim Jungvolk, sondern
bei der biblischen Jugend. Dies war der Grund,
weshalb ich von der Schule verwiesen wurde: Ich galt
als politisch unkorrekt. Dies wurde auf dem Zeugnis
vermerkt und führte dazu, keinen guten
Ausbildungsplatz zu erhalten.“
Protest des Pfarrers von Gremberghoven gegen
die eigenmächtige Anweisung des Porzer
Bürgermeisters, dass Angehörige des
Jungvolkes nicht mehr Messdiener sein
durften. |
Schüler: „Welchen
beruflichen Weg schlugen Sie dann ein?“
Herr Nolte: „Dank der
Beziehungen meines Vaters bekam ich einen
Ausbildungsplatz in der Agrippastrasse in Köln.
Mein damaliger Chef besaß in der Kammergasse zwei
Häuser, von Juden bewohnt, in denen diese An- und
Verkauf tätigten.“
Schüler: „Können Sie
uns etwas über die Reichskristallnacht in Köln
berichten?“

Herr Nolte: „In Porz
hat man davon nichts mitbekommen. Als ich am
nächsten Tag zu meinem Ausbildungsplatz mit der
Straßenbahn fuhr, schnappte ich auf, was letzte
Nacht angeblich geschehen sein sollte. Auch die Luft
verriet, dass etwas Schlimmes passiert war. Auf dem
Weg zur Bank sah ich, was geschehen war: Zerstörte
Geschäfte, kaputte Gegenstände lagen auf der Straße.
SA-Leute, Polizisten und Zivilisten liefen wirr
umher… es war so schrecklich …. Ich ging weiter und
erblickte die niedergebrannte Synagoge. Tagelang
später sah man noch die Zertrümmerungen.“
Schüler: „Hatte man
vor der Nazizeit schon Vorurteile oder Neid auf
Juden?“
Herr Nolte: „Nein.
Denn wir waren eine große Gemeinschaft, aber sicher
gab es auch Ausnahmen.“
Schüler: „Sind Juden
öffentlich in Erscheinung getreten?“
Herr Nolte:
„Zwangsweise durch den von Nazis eingeführten
Judenstern (Davidstern), durch Plakate an jüdischen
Geschäften (siehe Bild).

Auch bei unserem
Bekannten Albert Tobias wurde vermerkt, wer bei ihm
seine Einkäufe erledigte.“
Schüler: „Konnten zur
SS nur Deutsche gehen?“
Herr Nolte: „Nazis
haben Jugoslawien und Bosnien besetzt und haben dort
Soldaten für ihre Reihen gesucht und auch gefunden.
Aus der Ukraine kamen so genannte Hiwis zur Hilfe.“
Schüler: „Wussten Sie,
was in den Konzentrationslagern vorgegangen ist?“
Herr Nolte: „Auf der
Berufsschule wurde kaum über KZs diskutiert. Auch an
der Front beim Militär bekam ich nichts davon mit.
Nach der Freilassung aus der Gefangenschaft hörte
ich erstmals genauere Details über die Vorgänge in
Konzentrationslagern.
Habt ihr noch weitere Fragen?“
Schüler: "Nein vielen
Dank, Sie haben uns alles sehr ausführlich und
bildlich erklärt."
Die Schüler
applaudieren begeistert, während Herr Nolte den
Klassenraum verlässt.
Melanie Peters und
Kristina Scharpel